Niemand kann zweimal geboren werden! Ein Ko-Forschungsprojekt
Geflüchtete Menschen sind in vielerlei Hinsicht anderen Eingriffen in ihr Leben und ihre Körper unterworfen, als es bei Staatsbürger:innen der Fall ist. Im Zuge des Migrations- und Grenzregimes werden sie kategorisiert, befragt, geröntgt, angezweifelt, in ihrer Mobilität eingeschränkt, ihrer Privatsphäre beraubt, zurückgewiesen und oftmals kriminalisiert. Migrantische Initiativen wie „Together We Are Bremen“ (TWAB) haben in zahlreichen Protesten gefordert, diese Ungleichbehandlung aufzuheben und allen Menschen die gleichen Lebenschancen einzuräumen.
Mit unserem Forschungsprojekt „No One Can Be Born Twice” greifen wir diese Kritik auf und fokussieren insbesondere auf das bürokratische Alter als Scharnier, an dem sich Lebensbedingungen, Lebenschancen und Zukunftsperspektiven festmachen (Netz 2023). Unser Team bestand aus Bremer Aktivist:innen, die sich gegen die diskriminierenden Praktiken von Altersschätzungen sowie gegen die Verweigerung von Geburtsurkunden für ihre Kinder engagiert hatten und Akademiker:innen, die zur Problematik von Kategorisierung und Zugehörigkeiten arbeiteten. Die Motivation für unsere Zusammenarbeit speiste sich einerseits aus unserem geteilten Interesse an einer differenzierten Analyse des Staatsbürgerschafts-, Grenz- und Migrationsregimes und andererseits aus unserem Bedürfnis, in die öffentliche Debatte zu intervenieren und die gelebten Perspektiven, theoretischen Positionen und politischen Forderungen von Geflüchteten ins Zentrum zu stellen. Besonders wichtig war uns, den Forschungsprozess gemeinsam zu gestalten – sowohl im Hinblick auf die Interviews, die Auswertung und kritische Reflexion, als auch im Hinblick auf die Präsentation der Ergebnisse.
Waren wir anfangs noch von einer Buchpublikation ausgegangen, entschieden wir uns im Laufe der Forschung für eine Webseite, mit der wir eine größere Öffentlichkeit und einen vielschichtigen Zugang erreichen wollen. Dabei arbeiteten wir in zwei Gruppen, um zwei Aspekte des Altersregimes und seiner harschen Konsequenzen näher zu beleuchten. Die erste Gruppe beschäftigte sich mit der Problematik der (medizinischen) Altersschätzung; die zweite Gruppe widmete sich dem Kampf um Geburtsurkunden. Unsere Webseite strukturierten wir entlang der verschiedenen Themenfelder und kritischen Einwürfe, die aus den Interviews sprachen: der „bureau-crazy“, mit der die Migrant:innen permanent konfrontiert waren, die rassistische Ungleichbehandlung Schwarzer Mütter, aber auch die vielfältigen Widerstandspraxen, die von juristischen Interventionen und öffentlichen Protesten bis hin zu solidarischen Aktionen wie dem gemeinsamen Kochen im Lager und ähnlichem reichten. Für die Website wählten wir kurze, prägnante Zitate aus, die zugleich als theoretische Interventionen der Gesprächspartner:innen verstanden werden können. So beginnt der Teil zum Prozess und den Folgen der Altersschätzungen mit der Aussage: „Give us our age back – and give us our lives!“; für die Verweigerung der Geburtsurkunden steht das Zitat „The denial of birth certificates is a denial of belonging“.
Wir betrachten die Webseite als eine wichtige Ressource – nicht nur für Forschende, sondern ebenso für Aktivist:innen in anderen Bundesländern, die durch die Proteste von TWAB inspiriert werden können. Wir richten uns auch an Sozialarbeiter:innen und Amtsmitarbeiter:innen, die tagtäglich in der bürokratischen Maschinerie der Altersschätzung mitwirken und die hier neue Perspektiven zu den Verwicklungen und Konsequenzen ihres Handelns erhalten. Unsere Arbeit sehen wir daher als einen Beitrag im Kampf gegen die gegenwärtige rechte Diskursverschiebung, die Migrant:innen zum Problem erklärt, statt sie als Mitmenschen zu respektieren.
Verantwortliche: Katharina Schramm (Universität Bayreuth)
Zitierte Literatur
Netz, Sabine. 2023. “Staatsbürgerschaft als Ideal und Fiktion: Alterskategorisierungen und Materielle Lebensverhältnisse im Deutschen Staatsbürgerschafts- und Migrationsregime.” PhD thesis, Bayreuth: Universität Bayreuth.